Jeder hat eine Meinung zum Ausbau und zur Modernisierung des Skigebiets am Sudelfeld.
Hier ist meine.
Ich fürchte schwer, dass meine Popularität in Bergwanderkreisen darunter leiden wird, meine Meinung laut zu sagen. Aber gerade wenn man das Gefühl hat, in der Minderheit zu sein, ist es bekanntlich besonders wichtig, nicht einfach zu schweigen. Also.
Sollte jemand nicht wissen, worum es geht – hier ist eine kurze Zusammenfassung:
Am Skigebiet Sudelfeld sollen einige Schlepplifte durch zwei neue Sechser-Sesselbahnen ersetzt werden und später möglicherweise noch der Zubringer-Einersessellift durch eine neue Kabinenbahn. Dazu soll die bisher auf wenige Pisten beschränkte Anlage zur künstlichen Beschneiung erheblich erweitert werden – um 240 neue Schneilanzen und einen 155.000 Kubikmeter großen Speichersee. Für diesen See muss außerdem eine Almstraße verlegt werden. Das alles soll zusammen um die 45 Mio. Euro kosten.
Und nun hat der Deutsche Alpenverein angekündigt, vor Gericht Klage gegen die Baugenehmigung einzureichen, um das Projekt so zu stoppen. Konkret geht es ihm um eine Verhinderung der Beschneiung. Die Lifte stören ihn offenbar nicht so. (Aber natürlich werden die Lifte nicht gebaut, wenn die Beschneiung nicht auch kommt.)
Ich bin Mitglied im DAV, und ich fühle mich hier nicht vertreten.
Der Verein hat eine Pressemitteilung herausgegeben, in der er seine Entscheidung, vor Gericht zu ziehen, zu erklären versucht. Der Text besteht im Prinzip aus zwei Teilen. Einerseits geht es um – sagen wir mal – fachliche Mängel in der Baugenehmigung. Zum Beispiel heißt es dort, dass die „amtlichen Karten“, die zeigen würden, ob sich der geplante Speichersee teilweise in einem Landschaftsschutzgebiet befindet, „verschollen“ seien. Das wäre natürlich ein starkes Stück. Da der neue Speichersee zwischen einem bestehenden Sessellift und einer bestehenden Piste projektiert ist, erscheint es mir irgendwie unwahrscheinlich, dass dort ein Landschaftsschutzgebiet ist.
Außerdem heißt es, dass die „Standfestigkeit des Dammes […] nicht ausreichend untersucht“ worden sei und dass „die vorhandene Wassermenge in niederschlagsarmen Jahren nicht zur Befüllung des Speicherbeckens“ ausreichen werde. Beides scheinen mir eher Probleme für den Betreiber zu sein als für die Umweltschützer, aber okay.
Die andere Hälfte der Pressemitteilung erklärt, warum sich der DAV erstmals in seiner 145-jährigen Geschichte zu diesem Schritt entschieden hat: weil nämlich angeblich ein Domino-Effekt droht. Das soll dann so aussehen: Wenn das Sudelfeld seinen Speichersee bekommt, dann will demnächst jedes deutsche Skigebiet seinen Speichersee haben.
Ernsthaft jetzt?
Ich sage es dem DAV nur ungern, aber dieser Zug ist schon lange abgefahren: Das Sudelfeld ist so ziemlich das letzte Skigebiet in den deutschen Alpen, das seinen Speicherteich baut! In Garmisch-Partenkirchen gibt es zwei Speicherseen mit zusammen 110.000 Kubikmeter Fassungsvermögen, am Brauneck sind es mindestens 100.000 Kubikmeter, am Oberjoch 72.000 Kubikmeter, am Spitzingsee immerhin noch 40.000 Kubikmeter.
Ich muss davon ausgehen, dass man das eigentlich auch beim DAV weiß, und der Grund nur vorgeschoben ist – oder zumindest unverhältnismäßig stark betont wird.
Was ist hier also anders? Warum geht man hier so massiv gegen das vor, was man andernorts – wenn auch mit Zornesfalten auf der Stirn – hingenommen hat?
Ich weiß es nicht. Und mir fallen auch keine guten Gründe ein.
Das Sudelfeld ist bereits jetzt ein hoch erschlossenes Skigebiet mit jeder Menge Liften, Gastwirtschaften und Almstraßen. Die neuen Pläne zielen nicht darauf ab, das Skigebiet zu vergrößern; es soll nur modernisiert werden. Es ist also keineswegs so, dass hier „unberührte Natur“ zerstört würde.
Allerdings galten die einzelnen Liftbetreiber am Sudelfeld lange als schwer untereinander zerstritten – deswegen wohl hat es hier so viel länger gedauert als in den anderen Skigebieten, bis die Phase der Modernisierung einsetzte. Kann es sein, dass der DAV gehofft hatte, dass dieses Skigebiet sich einfach von innen selbst kaputt macht? Und dann enttäuscht war, als es nicht dazu kam?
Der DAV spricht gern von „sanftem Tourismus“ als Zukunftsmodell für die Wirtschaft in den Bergregionen, als sei das ein Selbstläufer, dem man nur endlich mal eine Chance geben muss. Damit meint er nicht weniger als einen Strukturwandel, aber das ist natürlich ein Wort, das sich gleich viel anstrengender anhört. Wenn keine Kohle mehr gebraucht wird, muss man den Tagebau einstellen; wenn es keinen Schnee mehr gibt, muss man mit dem Skifahren aufhören. Das ist ja auch nicht falsch, aber selbst die Projektleiter am Sudelfeld geben zu, dass die Beschneiung eine Übergangstechnologie für die nächsten 15 bis 20 Jahre ist.
Sollte man der Wirtschaft in Bayrischzell für einen tiefgreifenden Strukturwandel nicht diese 15 bis 20 Jahre gönnen?
(Auf die Frage nach einer Alternative zum Skitourismus schlägt Ludwig Wucherpfenning vom DAV im Interview mit dem BR vor, die österreichische Marke „Bergsteigerdörfer“ nach Deutschland zu holen. Er muss wohl schon lange nicht mehr in Bayrischzell gewesen sein, wenn er glaubt, dass man diese Marke diesem Ort ohne Weiteres glaubwürdig überstülpen kann.)
Dazu kommt, dass gerade das Sudelfeld rein geographisch in starker Konkurrenz zur Ski-Welt Wilder Kaiser/Brixental steht. Es kann doch nicht im Interesse des DAV sein, dass die Münchner Skifahrer 60 km mehr mit dem Auto zurücklegen, um zum Skifahren zu kommen – weil am Sudelfeld kein Schnee liegt und/oder die Lifte in der heutigen Zeit zu unkomfortabel sind. Wo bleibt hier der Umweltgedanke?
Verstehen wir uns nicht falsch: Es gibt ganz furchtbare Ski-Projekte in den Alpen. Der „Notweg“ (vulgo Talabfahrt) am Pitztaler Gletscher ist ein Skandal. Ich werde auch nie begreifen, was die Erschließung des Piz Val Gronda den Bewohnern des Paznauntals gebracht hat; das Ischgler Skigebiet hatte schließlich auch vorher schon 230 km Pisten. Bei der geplanten Verbindung von Kappl und St. Anton verstehe ich den Sinn schon eher, aber es ist trotzdem schwierig, sie gut zu finden, denn sie führt wirklich durch unberührte Natur. In Grindelwald wollen sie eine Dreiseilbahn mit bis zu 63 m hohen Stützen bauen, die in Zukunft den Blick auf die Eigernordwand prägen werden. Und die geplante Verbindung der Schlick und der Axamer Lizum über die Kalkkögel – da warte ich ja immer noch darauf, dass jemand „April, April“ ruft.
Was ich damit sagen will: Es wäre mir weitaus lieber, der DAV würde meinen Mitgliedsbeitrag für die Bekämpfung dieser Monsterprojekte aufwenden, als einen Bohei um die vergleichsweise moderaten Veränderungen am Sudelfeld zu machen.